Wer die richtigen Fragen stellt, bekommt die richtigen Antworten
Anfang Mai war Kevin Johnston erneut in seiner Rolle als Gastdozent an der Hochschule Pforzheim vor Ort, diesmal im SoSe2023. In der Vergangenheit hatte er bereits mehrfach an dieser Hochschule gelehrt und dabei Vorlesungen für die Studierenden des Fachbereichs Wirtschaftsinformatik gehalten.
Wir haben detaillierter nachgefragt: Warum ist er erneut an der Hochschule Pforzheim, was gefällt ihm an Pforzheim und was vielleicht nicht? Welche Kurse hat er dieses Semester unterrichtet? In diesem Zusammenhang sind wir tiefer in die Frage eingedrungen, was ihn dazu motiviert hat, eine Laufbahn im Bereich Information Systems anzustreben. Die Beantwortung dieser Frage ermöglicht tiefgreifendere Einblicke in seine Gedankenwelt. Interessanterweise betrachtet er eine Fähigkeit als entscheidend, die sich auf verschiedene Lebensbereiche übertragen lässt.
Von Kapstadt nach Pforzheim
Interviewer: Guten Tag und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um kurz mit uns zu sprechen. Bitte stellen Sie sich doch kurz vor: Wer sind Sie und woher kommen Sie?
Kevin Johnston: Hallo, sehr gerne doch! Ich bin der zweite von vier Söhnen und komme aus derselben Stadt in der auch Nelson Mandela geboren ist: Umtata, Transkei. Ich habe an 3 verschiedenen Universitäten studiert und letztlich im Jahre 2011 meinen PhD in Information Systems an der University of Cape Town (UCT) gemacht. Ein bisschen mehr zum Hintergrund: In meiner Karriere begann ich als Lehrer, arbeitete dann im Industry Mining und im Bankwesen, bevor ich selbst als Dozent an der University of Cape Town (UCT) arbeitete. Seit 2011 komme ich nach Pforzheim als Gastdozent.
Interviewer: Von Kapstadt nach Pforzheim – das sieht auf den ersten Blick nicht unbedingt nach einer direkten Verbindung aus. Wie sind Sie zur Pforzheim Universität gekommen und wie lange sind Sie schon Gastdozent bei uns?
Kevin Johnston: Die Antwort lautet: Prof. Joachim Schuller. Er kam mit seiner Familie in ein Township, eine stadtplanerische Territorialeinheit im Südafrika, und stellte dort die Frage: „Warum habt ihr kein Computerlabor?“. Die genaue Jahreszahl ist mir nicht mehr bekannt. Nachdem er erfuhr, dass die nächste Universität die UCT war, erkundigte er sich erneut nach dem Fehlen eines Computerlabors in der Gemeinschaft. Mit Unterstützung der University of Cape Town (UCT) organisierte er Unterkunft und finanzielle Mittel, einschließlich Computerspenden. Heutzutage ist es ein Innovationscenter, das über die Jahre hinweg stetig erweitert wurde. Dieser Weg begann mit ihm, und im Jahr 2011 bat er mich, in Pforzheim zu unterrichten.
Interviewer: Was mögen Sie an Pforzheim und was vielleicht eher nicht?
Kevin Johnston: Was mir in Pforzheim gefällt, sind die Menschen, darunter Wissenschaftler wie Joachim Schuller, Verwaltungsangestellte und viele Studierende der Hochschule. Die Verbindung zu einigen habe ich über LinkedIn aufrechterhalten, und wenn ich hier bin, treffen wir uns zum Essen und für andere Aktivitäten. Das schätze ich besonders. Was ich weniger mag? Die Reisezeit von Cape Town nach Pforzheim.
Die Grenzen der Technologie
Interviewer: Welche Kurse unterrichten Sie in diesem Semester an der HS PF und wie ist das für Sie?
Kevin Johnston: Aktuell unterrichte ich im dritten Semester die Studierenden im Kurs „Internet of Everything“. Wissen Sie, eigentlich ist es nicht sonderlich anders. Ich unterrichte an mehreren unterschiedlichen Universitäten. Darunter Oldenburg, Marburg, Ulm und natürlich Pforzheim. Es geht immer um Technologie, deshalb gibt es da kaum Unterschiede.
Interviewer: Welches Thema der digitalen Transformation/ Informationssysteme begeistert Sie am meisten?
Kevin Johnston: Im Moment? Nun, im Moment bin ich besonders begeistert was die Themen Künstliche Intelligenz (AI) und ChatGPT angehen. Chat GPT verändert gerade sehr viele Dinge, die Bereiche Bildung, Gesundheit und Gesellschaft. Die Art und Weise wie wir Denken, Sprechen, Kommunizieren, Interagieren, Alles.
Interviewer: Denken Sie, dass das auf eine schlechte Art und Weise passiert oder könnte das unsere Gesellschaft verbessern?
Kevin Johnston: Wir wissen: Innovationen haben ihre guten und schlechten Seiten. Es ist wichtig anzuerkennen, dass dies von einer oder mehreren Personen programmiert wurde und fehleranfällig ist. Es ist entscheidend, die Vor- und Nachteile dieser Entwicklungen zu betrachten. Zum Beispiel können Smartwatches einen überall verfolgen, was ethische Bedenken aufwirft. Auf der anderen Seite können diese aber auch gut für unsere Gesundheit sein und wichtige Informationen liefern. Wir müssen diese Themen ethisch angehen und uns ihrer Grenzen bewusst machen.
Interviewer: Nochmal eine Frage nebenbei: haben Sie ein besonderes Haustier?
Kevin Johnston: Ja, ich habe einen geretteten Hund namens Stella Arabella. Meine Tochter hat diesen Namen ausgesucht. Sie wurde in einem Armenviertel ausgesetzt und gerettet. Meine Tochter hat den Hund dann zu uns gebracht.
„Meinen Abschluss in Mathematik habe ich aber nie bereut.“
Interviewer: Was hat Sie dazu inspiriert, eine Karriere in Informations Systemen anzustreben?
Kevin Johnston: Das ist keine gute Geschichte. Anfangs war ich eine etwas faule Person und suchte nach Fächern, die ich für mich als einfach einstufe, das waren für mich Fächer wie Mathematik und später auch Information Systems. Zumindest waren diese Fächer einfacher für mich als andere an denen ich mich versucht habe, wie z. B. Physik und Chemie. Ich fing an, mich wirklich für den Bereich Information Systems zu interessieren. Es war nichts Altes, sondern immer etwas Neues, was ich lernte. Meinen Abschluss in Mathematik habe ich aber nie bereut. Jeder Job den ich jemals ausführte, immer wenn man gesehen hat, dass ich Mathematik studiert habe, habe ich diesen Job bekommen.
Interviewer: Wie hat sich das Feld der Informationssysteme seit Beginn Ihrer Karriere verändert, und welche Entwicklungen fanden Sie am bedeutendsten?
Kevin Johnston: Seit meinem Start sind deutliche Veränderungen zu sehen. Das Internet war die erste große Transformation, weil es einfach das gesamte Leben verändert hat. Dadurch wurde Arbeit, soziale Interaktionen, und Geschäftstätigkeiten beeinflusst. Die Entwicklung von Cloud Computing und Smartwatches, davor noch Smartphones. All diese Dinge hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf unser heutiges Leben. Es wurde schneller.
Eine der faszinierendsten Entwicklungen derzeit ist Chat GPT. Es entwickelt sich ständig weiter, und das Programmieren damit fühlt sich wie Poesie an. Wir bewegen uns vorwärts, auch wenn hin und wieder Rückschritte zu erkennen sind.
Was wir in diesem Sinne brauchen, ist mehr Individualisierung. Betrachten wir als Beispiel die Medizin – „Nehmen Sie eine Tablette alle 4 Stunden ein“. Wieso müssen wir alle das Gleiche tun? Der Stoffwechsel ist bei allen Menschen anders und darauf sollten wir mehr eingehen die Medikation und andere Bereiche wie z. B. auch Bildung zu individualisieren.
„Die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, ist entscheidend.“
Interviewer: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Fähigkeiten, die Studierende, die einen Abschluss in Information Systemen anstreben, entwickeln sollten?
Kevin Johnston: Hard Skills wie Programmieren, Netzwerktechnik und Projektmanagement sind zwar wichtig zu lernen, aber sind schnell veraltet und das oft nach wenigen Jahren. Die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, ist entscheidend. Studierende und auch alle anderen Menschen sollten lernen Fragen zu stellen und die Antworten hinterfragen. Wie hat Ernest Hemingway beispielsweise gesagt: „Wie erkenne ich Unsinn?“. Wir müssen lernen die Relevanz zu erkennen und Autoritäten sinnvoll zu hinterfragen: Wer hat das gesagt? Welchen Zweck verfolgt es? Wann wurde das bewiesen? Gibt es eine Verzerrung dahinter?
Es ist wichtig, Neugierde zu entwickeln, Neues zu erfinden und zu reflektieren. Wir müssen lernen, in die Zukunft zu schauen und uns darauf vorzubereiten. Wir sollten aber die Arbeit mit KI-Systemen nicht vernachlässigen oder gar unterschätzen.
Interviewer: Welche ethischen Überlegungen sollten Studierende beachten, und wie können sie sicherstellen, dass sie verantwortungsbewusst und ethisch handeln?
Kevin Johnston: Mit das Wichtigste ist das Thema Datenschutz: Das Recht auf Privatsphäre. Damit ist gemeint, dass jeder das Recht, allein gelassen zu werden, wenn er es möchte. Es geht darum, persönliche Informationen nicht mit anderen zu teilen, wenn man das nicht möchte. Wir alle besitzen persönliche Informationen, die wir aus Gründen nicht teilen möchten und daran ist nichts Schlimmes. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Es geht um einen Professor, den ich in Amerika kennengelernt habe, der in Polen geboren ist. Er war gut in Mathematik, und die Regierung entschied, was er studieren sollte und wo er zu arbeiten hatte. Am Ende arbeitete er im Bereich Computerwissenschaften für die Regierung. Das Erste, woran er gearbeitet hat, war ein System, dass Menschen anhand verschiedener Merkmale filtern kann. z. B. die Augenfarbe einer Person berücksichtigte. Erst später hat er über die ethischen Folgen nachgedacht. Wenn die Regierung beispielsweise alle Grünäugigen Menschen in Polen finden möchten, dann können Sie das mit diesem System. Er flüchtete dann nach Amerika und schrieb auch ein Buch darüber.
Was er damit versuchte zu vermitteln war: Studierende sollen bereits vor ihrem Handeln und dem Aufbau solcher Systeme ethische Überlegungen anstellen und verantwortungsbewusst handeln. Es ist wichtig, sich unserer eigenen Vorurteile (persönliche und soziale Vorurteile) bewusst zu sein. Auch sollten wir über soziale Verantwortung nachdenken und darüber, was wir zur Gesellschaft beitragen. Ethik ist etwas, über das wir ständig nachdenken müssen, bevor wir handeln.
Interviewer: Haben Sie am Ende des Interviews noch einen Ratschlag, den Sie den Studierenden auf ihrem Lebensweg mitgeben möchten?
Kevin Johnston: Stay safe – Keep Questioning – Keep Smiling
Wir bedanken uns herzlich für das inspirierende Interview mit Gastdozent Kevin Johnston und wünschen ihm weiterhin viel Erfolg und spannende Erfahrungen auf seinem Weg.
Interviewerin von Karina Niemeyer, Studentin an der HS Pforzheim
Fotos von Andreas Schneider, Mitarbeiter im Fachbereich Wirtschaftsinformatik an der HS Pforzheim